Schauspielerin Iris Berben
über Stimme & Sprache

Welch wunderbares, modulierendes Instrument die Stimme sein kann und wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten die Stimme zu erheben, darüber gibt die vielseitige Schauspielerin in diesem Gespräch Auskunft. Für die 12. Internationalen Stuttgarter Stimmtage im November hat Iris Berben die Schirmherrschaft übernommen.

arsmondo: Sie haben sich bei Ihren Rollen und auch beim Genre nie festlegen lassen. Das hat sie vor der gefährlichen „Schublade“ bewahrt. Sie spielten Rollen wie die der Rosa Roth, eine engagierte Kommissarin, in Sketchup waren sie die Comedy-Partnerin von Dieter Krebs, darüber hinaus haben Sie in vielen Filmen facettenreiche Frauenfiguren verkörpert mit denen man mitfiebert, lacht oder leidet. Das bedeutet jede Menge Stimmungen, Gefühle zu entwickeln und auf den Punkt abrufen zu können. – Wie nähern Sie sich diesen unterschiedlichen Rollen?

In der Comedyserie Sketchup gab es viele kleine kurze Szenen – Miniaturen – dort habe ich gelernt viel und sehr genau zu arbeiten. – Comedy hat ja in Deutschland leider nicht den Stellenwert wie beispielsweise im englischsprachigen Raum – dabei ist es eigentlich eine Königsdisziplin für jeden Schauspieler, denn dort lernst du viel über Timing, das schnelle Begreifen einer Situation und wie du sie möglichst reduziert und spontan rüberbringst. Die Unterschiedlichkeit meiner Rollen ist ein Glücksfall für mich – weil gerade dadurch keine Routine aufkommt. Es sind ganz unterschiedliche Wege, die mich in meine unterschiedlichen Rollen führen. Ich habe kein festes Konzept – man muss sich jedes Mal aufs Neue auf einen Charakter einlassen. In manchen Rollen trägst du ein historisches Korsett, zum Beispiel als ich in dem Film Die Buddenbrocks die Konsulin Bethsy Buddenbrook gespielt habe oder die Berta Krupp (Krupp – Eine deutsche Familie ist ein dreiteiliger Historienfilm/2009 , A. d. R.). Dafür musste ich erst einmal sehr viel Lesen über die jeweilige Zeit. Solche Frauen-Figuren darfst du ja nicht aus unserer heutigen Sprachgewandtheit und Offenheit herausspielen, sondern aus dem damaligen Bewusstsein heraus entwickeln. Natürlich bin ich glücklich, dass ich das ganze Rollen-Spektrum so breit füllen darf und kann. Mein Credo lautet immer maximale Empathie für eine Rolle mitbringen auch wenn es ein Charakter mit negativen Seiten ist. Du musst sie in dem Moment mögen und verstehen. – Manchmal fiel mir das sehr schwer, weil es so weit von einem weg sein kann. Das ging mir bei der Rolle der Cosima Wagner so („Die Wagners“ A.d.R.), nicht zuletzt auch, weil sie eine bekennende Antisemitin war. Aber man muss versuchen, eine solche Figur aus ihrer Zeit heraus zu begreifen und dann eben jenen Punkt in sich selbst finden. Warum bin ich wie ich bin. Es geht um Identifikation. Sie ist jedes Mal mit einer langen und intensiven Vorarbeit verbunden, die einen unglaublichen Einblick in andere Welten, Menschen und Lebensformen eröffnet.

arsmondo: Die Stimme drückt unsere Stimmungen aus und ist der Spiegel der Seele – sie offenbart der Umwelt unsere Gefühlswelt – ob wir wollen oder nicht. Im Alltagsleben ist das für uns ja selbstverständlich, da denken wir ja gar nicht nach. Aber wie ist das auf der Bühne und im Film?
Wichtig ist, in der Figur zu sein, sie nicht von außen zu spielen. Du musst mit einer Figur verschmelzen in ihr drin sein. Nur dann überzeugst du dein Publikum. Aber wie finde ich die richtige Stimme? Ich habe jetzt einen 5-Teiler abgedreht, der im Oktober im Fernsehen startet. Er heißt „Die Protokollantin“. Da geht es sehr viel um Stimme. Die Frau, die ich spiele, ist düster. Dafür musste ich die Stimme suchen. Welche Stimmlage brauche ich. Hier ging es um Reduktion, um das „Abschleifen“ von Worten und Emotionen – in solchen Momenten merkst Du welch wunderbares Instrument die Stimme sein kann. Ich arbeite und übe ständig an meiner Stimme – sie zu modellieren, den richtigen Ton zu treffen. Ich schätze eine klare und verständliche Sprache – auch wenn man flüstert oder nuschelt oder schnoddrig sein muss. Man sollte trotzdem immer verstanden werden. Ich finde, dass heute oft die Sprache vernachlässigt wird. Oft versteht man die Schauspieler nicht mehr. Man muss die Sprache gut beherrschen, um mit ihr umgehen zu können.

„Beim Einstudieren von Rollen geht es um
Identifikation. Sie ist jedes Mal mit einer langen und intensiven Vorarbeit verbunden, die einen unglaublichen Einblick in andere Welten, Menschen und Lebensformen eröffnet.“

arsmondo: Sie absolvierten eine Tanz- und Bewegungsausbildung in London sowie eine Sprech- und Gesangsausbildung. Gibt es Unterschiede zwischen Stimme und Sprache im Film, Bühne und realem Leben? Wie finden Sie in Ihren verschiedene Rollen – den richtigen Ton?
Ich war nie auf einer Schauspielschule. In London habe ich eine Tanz- und Bewegungsausbildung sowie eine Sprech- und Gesangsausbildung absolviert, aber das war nur auf eine bestimmte Rolle hin bezogen. Alles was ich kann, habe ich durch learning bei doing erlernt. Und das Schöne ist, dass du als Schauspieler nie auslernst! Jedes Projekt ist anders und eine neue Herausforderung. Da geht es um innere Ansprüche und um eigene Vorstellungen. Dazu muss ich jedes Mal die Emotionen in mir suchen. Wie spreche ich als alte Frau? Ich habe ja auch schon Achzigjährige gespielt, oder wie klingt eine Frau mit vierzig oder wie klingt ein Kind oder eine Jugendliche? Wie fühlt ein junges Mädchen? In meinen Lesungen über Selma Meerbaum-Eisinger beispielsweise – sie starb früh und schrieb ihre wunderbar ergreifenden Gedichte zwischen dem15. bis 18. Lebensjahr.* Wie finde ich dieses Lebensgefühl, diese Lebensgier, diese Offenheit und Wachheit? Ich liebe solche Arbeiten, die mich fordern und in der ich nach richtiger Stimme und Ton suchen muss.

arsmondo: Sie stehen für Dinge ein – für Toleranz und Gerechtigkeit – sie äußern sich auch zu politischen und gesellschaftlich relevanten Themen – d.h. Sie erheben Ihre Stimme und setzen sie ein, um etwas zu bewegen.
Wir leben in einer Welt in der vieles lauter wird – auch die Forderungen. Und es gibt heute unzählige Möglichkeiten, Meinungen zu verbreiten. Generell glaube ich nicht, dass man das Einstehen für etwas in der Öffentlichkeit von jedem verlangen sollte, auch nicht expliziert von uns Künstlern. Aber ich komme aus einer anderen Zeit – der Zeit als man sich in den 68er-Jahren gegen die Verkrustungen der Vergangenheit frei zu machen versuchte, es ging auch um Frauenrechte, um Öffnung gegenüber dem Neuen und Anderen. Wir wollten die Welt verändern und das Nachkriegsdeutschland. In die Sprachlosigkeit eingreifen. Sprache kann eine Waffe sein. Wir merken das heute wieder sehr, wie man mit Worten treffen kann. Menschen kann man mit Worten einlullen und fangen. Es gibt sie wieder die Menschfänger, die mit vermeintlich leichten Worten einfache „Wahrheiten“ verbreiten – einfache und leichte Antworten geben für komplexe Themen. Das hat ja auch alles mit Sprache zu tun. Wie vermittle ich etwas? Wie aggressiv oder sanft bin ich dabei? und ja da sehe ich für mich eine große Notwendigkeit, auch meine Stimme zu erheben. Ich versuche auch, meine Haltung klar zu machen und dadurch vielen Menschen zu zeigen: Wir alle können etwas tun! Natürlich macht du dir dadurch nicht nur Freunde, und du machst dich angreifbar. Das muss man aushalten können und wollen.

arsmondo: Sie widmen sich neben Ihrer Filmarbeit auch leidenschaftlich gerne der Literatur – was würden Sie sagen: Ist das Einsprechen von Hörbüchern und Synchronisation eine gute Übung für Selbstreflektion und Kontrolle – Körper, Gesicht, Mimik entfallen, man wird ja ganz auf seine Stimme beschränkt – sich wieder der eigenen Stimme und Sprache ganz direkt zu stellen?
In diesem Bereich muss man noch genauer arbeiten. Gleichzeitig merkt man was für eine ungeheure Macht die Stimme haben kann. Je nach Thema und Figur in Texten muss man blitzschnell in einen anderen Sprachduktus schlüpfen. Ich habe ein Hörbuch und Lesungen zu Anne Frank und Josef Goebbels gemacht. Da musste ich mir im Vorfeld ganz genau überlegen: Unterstreichst du? Übertreibt du? Oder lässt du perfide Sätze eines Goebbels in der Distanz – ohne sie zu interpretieren einfach im Raum stehen. Wie kann ich etwas nur durch meine Stimme spannend machen?
Ich habe immer noch einen Riesenrespekt vor meinem Beruf – ich liebe ihn und nehme ihn sehr ernst – das bedeutet, ich versuche immer alle Möglichkeiten zu nutzen, diesen Beruf auszufüllen – wach und offen zu sein. Beobachten – Kollegen zuzuhören und zuzuschauen – wahrnehmen, was um mich herum geschieht. All das nimmt man in seinen Erfahrungsschatz auf.

arsmondo: Muse und Muse-Stunden – welche Lieblingsbeschäftigungen gehen Sie in Ihrer freien Zeit nach?
Ich lese sehr gern und viel, und ich gehe ebenso gerne in Buchhandlungen. Ich kämpfe dafür, dass diese auch erhalten bleiben, ich mag es, dort zu stöbern und zu blättern, mich mit anderen auszutauschen. Dann reise ich viel. Die Welt so ausgiebig kennenlernen wie es nur geht, denn es gibt nichta aufregenderes als andere Kulturen und Lebensformen, Gegenden und Orte kennenzulernen. Und ich koche leidenschaftlich!