Ein Werkstatt-Gespräch

Vor kurzem besuchte ich die Geigenbauwerkstatt von Hieronymus Köstler in Stuttgart, beheimatet in einer großen Altbauwohnung. Und schon beim Eintreten liegt der Geruch von Holz und Harz in Luft. Ein Blick in Werkstatt gewährt dann Einblicke in einen außergewöhnlichen Berufszweig: Auf großen Holztischen liegen Messer, Spatel, Zwingen verschiedenster Art, Schleifpapier, kleine Tiegel und Töpfe mit Harzen und Farben, aber auch ungewöhnliche Dinge wie Walnussschalen. Fast wie OP-Tische muten sie an, nur eben für klingende Patienten. Betreut von einer hochqualifizierten „OP-Crew“ von insgesamt fünf Mitarbeitern. Hieronymus Köstler, der Inhaber, empfängt mich herzlich zum Gespräch. Wir gehen nach nebenan. Mit seinen Antiquitäten und dem alten Flügel erinnert der Raum an einen Musiksalon im 19. Jahrhundert. Genau der richtige Ort also, um über eine über Jahrhunderte währende Handwerkskunst zu sprechen, ohne deren kunstvolle Klangkörper das Spiel vieler berühmter Virtuosen wie Anne-Sophie Mutter, Mischa Maisky oder aber auch David Garrett uns vielleicht niemals mit jener Intensivität berühren würde, wie sie es in Verbindung mit ihren Instrumenten zu tun vermögen.

Welche Aufgaben hat ein Geigenbauer?
Zu unseren wichtigsten Aufgaben gehören die Reparaturen und die Restaurierung. Mein anderer Schwerpunkt ist Alter und Herkunft von Instrumenten zu bestimmen, ebenso wie Ankauf und Verkauf sowie das Vermitteln. Alles ist meist sehr zeitaufwendig, Restaurierungsarbeiten an einem Instrument können oft Wochen, meist Monate und Jahre in Anspruch nehmen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Dachbodenfunde, bei denen sich am Ende herausstellt, dass es sich um ein wirklich wertvolles Instrument handelt, sind zumindest heute sehr selten…

Muss man selbst spielen können, um diesen Beruf ausüben zu können?
Ich denke schon, es hilft zumindest beim Überarbeiten, wenn man einige Takte spielen kann.
Ja, die lange oft bewegte Geschichte eines Instruments fasziniert uns sicher alle und für einen heutigen Solisten ist es natürlich etwas besonderes zu wissen, dass auf seinem Instrument bereits Größen wie Niccolò Paganini oder Eugène-Auguste Ysaÿe gespielt haben. Außerdem – und das ist kein Mythos – prägt jeder Spieler ein Instrument. Deshalb sollte kein mittelmäßiger oder gar schlechter Spieler über einen längeren Zeitraum, ein wertvolles Instrument spielen. Ich selbst denke, es gibt aber durchaus auch neue Instrumente, die einen ganz hervorragenden Klang haben…

… das sind jedoch keine Wertanlagen mit Historie.
Ein Instrument muss immer gespielt werden, zu lange Ruhezeiten sind nicht gut. Wer ein altes und wertvolles Instrument nur als Wertanlage kauft, muss also dafür Sorge tragen, dass es auch zum Einsatz kommt. Letztlich ist es eine Geschmacksfrage und natürlich eine Geldfrage, ob man mehrere Millionen für ein altes Instrument ausgeben kann und will. Ich vertrete die Ansicht, dass wir heute kein brauchbares altes Instrumentarium mehr hätten, wären die Instrumente ständig in Benutzung. Diese Objekte werden nur erhalten, wenn sie ihrem Wert entsprechend geschont werden. Allerdings muss ein Instrument das einen Musiker begleitet auch ständig gespielt werden, um seinen momentanen Klang zu behalten. Eine lange Ruhephase, wenn es über Jahrzehnte weggelegt wird, ist aber genauso wichtig, um dem Instrument Erholung zu gönnen. Das schlechteste für ein Instrument ist unsauberes schlechtes Spiel.

Aber es gibt auch Fälschungen…
Ja, auch das haben wir schon erlebt. Da kommt jemand zu uns und am Ende stellt sich heraus, dass seine wertgeschätzte Geige oder sein Cello nur eine Kopie ist, das ist dann natürlich eine große Enttäuschung. Wie in der Kunst so gibt es auch hier einen Fälscher-Markt oder besser Manipulationen und Täuschung bei der behaupteten Herkunft, schließlich geht es auch bei alten Instrumenten oftmals um hohe Summen. Deshalb sollte man vor einem Kauf oder Verkauf immer einen oder mehrere kompetente Fachleute für alte Instrumente aufsuchen.

Wie erklären Sie sich das Phänomen, dass die berühmtesten Instrumente fast alle im 17. Jahrhundert in Oberitalien entstanden sind?
Um viele berühmte Instrumenten ranken sich eine ganze Reihe von Mythen und Geschichten, ich persönlich sehe das eher nüchtern: Rein physikalisch betrachtet, besitzt ein über mehrere hundert Jahre ausoxidiertes Holz ganz besondere Eigenschaften, die für die Übertragung und den Charakter des jeweiligen Klanges verantwortlich sind und die man nicht so einfach auch mit modernster Technik nachahmen kann. Selbst wenn man heute altes Holz verwendet, um ein Instrument zu bauen: Man zerschneidet beim Herausschälen der Form und Wölbung die ausoxidierten Schichten, die von außen nach innen gehen und deren verschiedene Härtegrade. Wo die Form der Geige herkommt, weiß man übrigens bis heute nicht so genau, aber es gab bereits vor Cremona Spuren von Vorläufern, beispielsweise in Polen. Und dann gab es auch zuvor schon Musiker, die sich nach ihren Wünschen Instrumente bauen ließen, sicher spielt auch die Entwicklung der Musikkompositionen, die ja immer komplexer und anspruchsvoller wurden, eine entscheidenden Rolle. Cremona wurde dann das Zentrum über eine lange Zeit, einfach weil sich dort viele Familien, worunter auch viele selbst Musiker waren, über Generationen hinweg auf den Bau von Instrumenten konzentrierten und sie bis zur Perfektion weiterentwickelt haben.
Weitere Orte waren Venedig, Brescia und Turin und auch das deutsche Mittenwald, wo übrigens ich meine Ausbildung absolviert habe.

Und diese Instrumente von Amati, Ruggeri, Guarneri und Stradivari sind bis heute unerreicht…
Ja, hinzu kommt eine hohe Individualität. Jenen Geigenbauern war es wichtig, für ihre Werkstatt auch ganz bestimmte Charakteristika zu kreieren, man könnte fast sagen eine Art „Markenzeichen“ zu schaffen. Und Stradivari konnte mit dem Bau seiner Geigen auf eine bereits 100 jährige Erfahrung im Geigenbau zurückgreifen und damit das Wissen von vier Generationen in seine Instrumente einbringen, sicherlich einer der Hauptgründe neben handwerklichem Geschick, warum es ihm gelang, es zu solcher Meisterschaft zu bringen und seine Instrumenten zu den berühmtesten der Welt werden ließen.

Worin liegt Ihrer Meinung nach das Geheimnis des Klangs?
Da gibt es eine ganze Reihe an Dingen, die einem Laien auf den ersten Blick  gar nicht auffallen würden. Zuallererst ist es die Qualität und Beschaffenheit des Holzes des Geigenkorpus, gefolgt von vielen Details, die sich wie Puzzleteile zusammensetzen und dann das Instrument einzigartig werden lassen.
Nehmen Sie nur den Stimmstock, ein kleines, rundes Holz, das in dem Korpus aufgestellt ist, wenn das nicht ganz genau an der richtigen Stelle steht, klingt die Geige nicht. Und dann kommt es auf den Spieler an: auf das Gewicht seiner Fingerknochen auf dem Steg, auf den Bogen – der im Übrigen bei der Klangerzeugung fast genauso wichtig ist wie das Instrument – und den Druck auf die Seiten. Vor allem alte Instrumente haben ihren ganz eigenen Charakter und passen nicht zu jedem Künstler, selbst oder gerade dann, wenn er Profi ist. Ich kenne Fälle, da haben manche von ihnen jahrzehntelang nach „ihrem“ Klangpartner gesucht. Übrigens: Wertvolle Instrumente sind nicht in etwa leichter zu spielen, ganz im Gegenteil. Eine Stradivari klingt auch nur wie eine, wenn sie von der richtigen Hand gespielt wird. Der berühmte Cellist Casals meinte zum Beispiel einmal, er habe acht Jahre gebraucht, um sein Goffriller-Cello (Matteo Goffriller 1659–1742, Geigenbauer in Venedig) richtig spielen zu können. Und dem stimme ich zu: Man braucht wirklich lange, um solche Instrumente zu erkunden, weil sie viele feine Facetten haben und manchmal kommt es vor, dass auch große Solisten ein bestimmtes Instrument ablegen, weil sie einfach nicht damit klar kommen und sich dann für ein anderes entscheiden. Die Chemie muss einfach stimmen, ähnlich wie in einer Liebesbeziehung….

Das Gespräch führte Claudia Fenkart-N ́jie

Alle Fotos: Köstler/Bürgschaftsbank BW
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