Le Corbusier

Es ist nie zu spät, sich über eine Auszeichnung zu freuen, auch wenn sie schon einige Zeit zurückliegt. Vor allem nicht, wenn sie so lange auf sich warten ließ. Im dritten Anlauf hat es dann endlich geklappt: Das Werk des französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier – 17
seiner Bauwerke insgesamt – wurde 2016 unter dem Titel «Das urbanistische und architektonische Werk von Le Corbusier» als transnationales UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet. Neben Gebäuden in Argentinien (Maison du Docteur Curutchet, La Plata), Indien (Kapitol-Komplex von Chandigarh), Japan (Nationalmuseum für westliche Kunst, Tokio), Belgien (Maison Guiette, Antwerpen), der Schweiz ( Petite villa au bord du lac Léman, Corseaux) und natürlich Frankreich (Notre-Dame-du-Haut, Ronchamp; Dominikaner- Kloster Couvent Sainte-Marie-de-la-Tourette, Éveux; Villa Savoye, Poissy oder Unité d’Habitation, Marseille), gehören auch zwei Häuser der Stuttgarter Weissenhofsiedlung dazu.

Le Corbusier an seinem Entwurfstisch, Bildquelle: Vitra Design Museum

Le Corbusier, eigentlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris (1887-1965), Architekt, Architekturtheoretiker, Stadtplaner, Maler, Zeichner, Bildhauer und Möbeldesigner gehörte zu den einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Seine neuen Ideen begeisterten und lösten Kontroversen aus, ja sind teilweise bis heute umstritten. Zur Begründung der ursprünglich abgelehnten Auszeichnung als Weltkulturerbe hieß es dann auch unter anderem, es sei noch nicht nachgewiesen, dass das Werk Le Corbusiers tatsächlich globale Bedeutung habe. Doch Le Corbusiers Bauwerke belegen definitiv die Internationalisierung der Architektur der Moderne in einer globalen Dimension und sind Zeugnisse eines ästhetischen, sozialen und technischen Umbruchs. Le Corbusier verlangte eine radikale Änderung der Architektur als logische Konsequenz aus der rasanten technischen Entwicklung und dem damit einhergegangenen Wandel der Lebensgewohnheiten zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Für seine zweckmäßigen, funktionalen und wirtschaftlichen Entwürfe bediente er sich aller technischen Möglichkeiten seiner Zeit, was den Einsatz von Eisenbeton, Stahl und Fertigteilen bedeutete, um eine völlig neue, vormals nicht mögliche Architektur zu realisieren.

Innenansicht /Foto © gonzález/weissenhofmuseum

Dabei wird Althergebrachtes über Bord geworfen, beispielsweise die Ornamentik, die den Selbstzweck über die Funktion stelle. Die von Le Corbusier begründete Architekturlehre nimmt sich für die Gebäudegestaltung die reine Funktionalität der Maschine zum Vorbild. Daraus resultieren klare und einfache Körper, die sich aus den geometrischen Grundformen des Rechtecks, Kreises und Quaders zusammensetzen. Die zwei zur Welterbestätte gehörenden Häuser der Stuttgarter Weissenhofsiedlung wurden 1927 erbaut. Vor allem in seinem Doppelhaus, das er gemeinsam mit Pierre Jeanneret erbaute, setzte Le Corbusier seine «Fünf Punkte» einer neuen Architektur um. Zentrale Merkmale davon sind der Dachgarten, ein verschiebbares Langfenster, eine freie Grundrissgestaltung, Stützen statt massiver Mauern als tragende Konstruktion und eine freie Fassadengestaltung. Funktionelles Wohnen sollte durch eine Flexibilität in der Innenarchitektur ermöglicht werden. Die rechte Haushälfte orientiert sich an der Zeit von 1927, als die Werkbundausstellung auf dem Weissenhof eröffnet wurde: Die Raumaufteilung Le Corbusiers, die Farbgebung und ein Teil der Einrichtung konnte wiederhergestellt werden. In der linken Haushälfte, deren Grundriss seit den 1930er-Jahren tiefgreifend verändert wurde, informiert eine Ausstellung über Entstehung und Geschichte der Weissenhofsiedlung. Die Siedlung, eines der bedeutendsten Zeugnisse des Neuen Bauens, entstand 1927 als Bauausstellung der Stadt Stuttgart und des Deutschen Werkbundes. Unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe versuchten sich 17 Architekten an einem mustergültigen Wohnprogramm für den modernen Großstadtmenschen. An der Ausstellung waren neben neben Le Corbusier und Mies van der Rohe, u. a. auch Walter Gropius, Peter Behrens, Bruno und Max Taut, Jacobus Johannes Pieter Oud und Hans Scharoun beteiligt – Architekten, die in der damaligen Zeit nur in Kreisen der internationalen Avantgarde bekannt waren, heute aber zu den bedeutendsten Meistern der modernen Architektur zählen.

Außenansicht /Foto © gonzález/weissenhofmuseum

Die wechselvolle Geschichte der Weissenhofsiedlung spiegelt die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen des 20. Jahrhunderts wider. Im Dritten Reich verfemt, im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, begegnete man der Siedlung auch anschließend mit Ignoranz. Vor allem bürgerschaftlichem Engagement ist es zu verdanken, dass sie das Jahr 1958 erlebte, in dem sie endlich unter Denkmalschutz gestellt wurde. Aber auch danach ist eine stiefmütterliche Behandlung dieser Ikone der Architektur nicht von der Hand zu weißen, was 1977 zur Gründung des Vereins «Freunde der Weissenhofsiedlung» führte, der sich aus Architekten, Geisteswissenschaftlern und Designern zusammensetzt. Erst im Jahr 2002 dann, wendete sich das Blatt, indem die Stadt Stuttgart, das Doppelhaus von Le Corbusier erwarb, um darin das Weissenhofmuseum einzurichten.

Die gesamte Weissenhofsiedlung mit ihren noch 11 von ursprünglich 33 im Original erhaltenen kubischen Flachdachhäusern soll nach Aussagen der Stadt Stuttgart auch weiterhin im Zentrum der Arbeit zum kulturellen Erbe stehen. Für die Siedlung werde in Kooperation mit fünf weiteren europäischen Werkbundsiedlungen der 1920er- und 1930er-Jahre ein Antrag für das Europäische Kulturerbe-Siegel vorbereitet.


Weitere Infos: www.weissenhof.dewww.unesco.de/kultur/
Tipp: Bei einem Besuch im Vitra Design Museum in Weil am Rhein kann man ausgewählte Objekte und Entwürfe zu
Möbeln von LeCorbusier erkunden und erfährt viele Hintergründe sowie Wissenswertes rund um deren Entstehungsprozess.
www.design-museum.de