Henning Ziebritzki

Henning Ziebritzki © Björn Klein

Der vom Land Baden-Württemberg und dem Südwestrundfunk gestiftete Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik wird seit 1983 für ein herausragendes lyrisches Werk des vergangenen Jahres verliehen und würdigt die literarische Arbeit deutschsprachiger LyrikerInnen. Mit 10.000 Euro dotiert, gilt er zudem als der wichtigste deutsche Lyrikpreis. Namensgeber des Preises ist den bedeutende Lyriker und langjähriger Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“: Peter Huchel (1903 – 1981). Mit Henning Ziebritzkis Gedichtband „Vogelwerk“ prämiert die Jury „ein lyrisches Kalendarium sinnlicher Grenzerfahrungen und Überwältigungsmomente“.

Zweiundfünfzig Vögel aller Arten sind in „Vogelwerk“ versammelt, und am Anfang fast aller Gedichte steht die genaue konkrete Beobachtung des darin thematisierten Vogels. Aber der Dichter bleibt natürlich nicht bei vogelkundlichen Beschreibungen stehen, es ist immer auch ein Psychogramm von Assoziationen des Wahrnehmenden und spiegelt Erinnerungen, Gedanken und Gefühle. Die Beobachtung der Vögel, beim Futtersuchen, beim Fliegen, in ihrem Überlebenskampf, führt Ziebritzki zu existentiellen Fragen, zu Momenten, in denen Leben und Tod sichtbar zu werden scheinen. Von der Feldlerche bis zur Wasseramsel zeichnet der Dichter Vogelporträts, die ausgehend von deren Eigenarten Risse in der Realität des Beobachters offenbaren. Zugleich lesen sich die Miniaturen als Manifestation des Glaubens an Sprache und die Kraft des Wortes:

Habicht

Im Wald ist er unsichtbar. Er ist eine Hohlform.
Er fängt dort an, wo du aufhörst.
Er schreit
im Verborgenen und schreckt Teile von dir auf,
die sagen:
Wir schmecken bitter, verbrannt wie deine Opfer.
Er ist dafür geschaffen, mit einem einzigen
tödlichen Griff
ein flüchtendes Gewissen festzunageln, dass es splittert.
Im Herz des Habichts lodern keine Vergleiche.
Plötzlich fällt er lautlos aus der Blätterwand
und wölbt, zwischen zwei Verstecken gleitend, über dir
das Wunderwerk von Schrift auf seiner Brust,
unfassbar wie ein Evangelium

In der Stille der Beobachtung erscheint immer wieder etwas auf, das jenseits aller Sagbarkeit ist, das trotz der Präzision der Worte offen bleibt und immer wieder einen Raum für existenzielle Selbstbefragungen bietet.

Rotkehlchen

Ich kann dich nicht sehen,
ohne dass Freude und Schmerzsiedend ineinander schießen, so zart
und so verletzlich ist deine zögernde
Gestalt im Schnee, fast abstrakt.
Wie auf einer englischen Weihnachtskarte,
in den Zeilen eines frommen Dichters
zeigst du die rote Brust,
den Kopf ins Profil gedreht, das Auge,
etwas zu groß geraten, ein schwarzes Loch,
in das Licht eingefädelt wird.

Die Gedichte von Henning Ziebritzki sind verstörend und doch beglückend und gehören zum Besten, was in der deutschsprachigen Lyrik zurzeit zu lesen ist.


Henning Ziebritzki:
Vogelwerk – Gedichte
Wallstein-Verlag, Göttingen

Über den Lyriker & Autor
Henning Ziebritzki (*1961)studierte Evangelische Theologie in Tübingen, München und Mainz, wo er 1992 auch dissertierte. Ab 1995 arbeitete er als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Hahnenklee (Oberharz),
2001 wechselte er als Lektor in den Wissenschaftsverlag Mohr Siebeck, den er heute als Geschäftsführer leitet. Er lebt in Tübingen. Ziebritzki veröffentlichte Gedichte und Essays in Zeitschriften wie manuskripte, Sinn und Form, Akzente, Neue Rundschau, die horen, Gegenstrophe und Bella triste sowie in zahlreichen Anthologien.