… als würden allein diese
Bilder bleiben

Das KUNSTWERK Nussdorf zeigt in seiner aktuellen Sonderausstellung unter dem Titel „…als würden allein diese Bilder bleiben“ zwei künstlerische Positionen im Abstand von rund 100 Jahren, die sich mit den indigenen Völkern Nordamerikas auseinandersetzen. Rund 60 Fotogravuren, historische Fotoabzüge und seltene Goldtone Prints von Edward S. Curtis (1842-1952) stehen in Dialog mit Werken des in Santa Fe lebenden Multimediakünstlers Will Wilson (*1969), der selbst Angehöriger der Navajo/Diné-Nation ist.

Edward S. Curtis, Bear’s Belly, um 1908, Fotogravur auf Papier

Welche Bilder haben wir im Kopf, wenn wir den Begriff „Indianer“ hören? Das KUNSTWERK hinterfragt dies in seiner Ausstellung auf unterschiedliche Weise. In Europa ist bis heute das Bild stark von den Erzählungen Karl Mays geprägt. Jüngste Diskussionen sorgen jedoch zunehmend für neues Wissen und Aufklärung und räumen auf mit dem romantischen und falschen Vorstellungen der amerikanischen Ureinwohner. Die Ausstellung ist deshalb so spannend und reiht sich ein in die aktuelle Aufarbeitung jenseits der Klischees, weil sie zwei künstlerische Positionen gegenüberstellt, die jedoch nicht willkürlich sind, sondern sich ganz direkt aufeinander beziehen. Mit den historischen Fotogravuren und Goldtone Prints von Edward S. Curtis wendet sich der Blick zunächst zurück. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts besuchte Curtis
mehr als 80 indianische Nationen, um deren Kultur in Wort und Bild festzuhalten. Seine Feldforschungen fasste er zusammen in seiner 20 bändigen Enzyklopädie „The North American Indian“, die zwischen 1907 und 1930 erschienen ist.
Die schriftlichen Aufzeichnungen von Edward S. Curtis, mit denen er die Lebensweisen, die Bräuche und die Glaubenswelt der verschiedenen indigenen Gruppen Nordamerikas systematisch und differenziert darzustellen beabsichtigte, werden in der weiteren Wahrnehmung seines Werks von der eindrucksvollen, atmosphärischen Wirkung seiner Fotografien überstrahlt. Die Wirklichkeit in den Reservationen, die zunehmende Assimilation und den Einfluss des modernen Lebens vor Augen, sah er – mit vielen Zeitgenossen übereinstimmend – die Kultur der indigenen Bevölkerung Nordamerikas im Verschwinden begriffen. So inszenierte er die Motive aus seiner Perspektive, auf Grundlage seiner eigenen Vorstellung dessen, was „typisch indianisch sei“ ist und ging dabei über das rein Dokumentarische hinaus.

Der in Santa Fe lebende Multimedia-Künstler Will Wilson antwortet mit seinen Projekten auf das Erbe von Edward S. Curtis aus einer zeitgenössischen, indigenen Sicht. In seiner Arbeit setzt er sich kritisch mit dem stereotypen bildnerischen Kanon auseinander, der die Wahrnehmung der Native Americans, ihrer Kultur und ihres Landes bis heute prägt. Er greift überkommene Bildmuster und historische Verfahren der Fotografie auf, Gerade indem Wilson eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, ist es ihm möglich, eine künstlerische Position zu beziehen, die von der Selbstbestimmung der Native Americans sowie von der jüngeren Geschichte und der Gegenwart erzählt.
2012 startete er sein Projekt „Critical Indigenous Photographic Exchange (CiPX)“. In Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften lud er Nachfahren der von Edward S. Curtis Porträtierten dazu ein, von sich und ihrem Blick auf die nach wie vor lebendige Tradition der indianischen Kultur zu erzählen. Für die Fotografien, die er dabei aufnimmt, nutzt Wilson die historische Technik der Ferrotypie. Wesentlich ist dabei ein neues Verständnis seiner Rolle als Autor. Über die bildnerische Repräsentation entscheidet jetzt nicht mehr – wie einst Curtis – der Fotograf. Alle Beteiligten bestimmen selbst, in welcher Kleidung, mit welchen Attributen ihr Bild aufgenommen wird und welche Geschichten sie erzählen. Die „Talking Tintypes“ in der Ausstellung unterstreichen Wilsons Position als Künstler des 21. Jahrhunderts sowie das dialogische Prinzip des „CIPX“-Projektes. Mit einer App sind auf dem Smartphone Videosequenzen abrufbar, die persönlich erlebte Begegnungen mit den porträtierten Akteur*innen vermitteln.

Will Wilson, Talking Tintype: Madrienne Salgado, 2017, Archival Pigment Print von gescannter Ferrotypie

5. Februar bis 30. Juli 2023
KUNSTWERK – Sammlung Klein; Siemensstraße 40, 71735
Eberdingen-Nussdorf; Tel. 0 704 2 – 37 69 566
www.sammlung-klein.de