Sivan Ben Yishai

Sivan Ben Yishai, Foto ® Christian Kleiner

Schwarzes Minikleid, Sneakers und eine elegante Goldkette um den Hals – so sitzt Sivan Ben Yishai in der Lobby des Mannheimer Werkhauses. In der kommenden Spielzeit ist die 41-jährige Israelin Hausautorin am Nationaltheater Mannheim. Seit 2012 lebt sie in Berlin und begann dort, Theaterstücke auf Englisch zu schreiben. Sie startete sofort durch mit Einladungen zu den Berliner Autorentheatertagen, Inszenierungen am Gorki Theater, in Helsinki, Luxemburg oder New York. In Mannheim wird ihr „Liebe/ Eine argumentative Übung“ am 26. September uraufgeführt. Am Vorabend der Premiere performt Yishai ihr Stück selbst auf der Bühne.

Sie werden bald in Mannheim wohnen. Mögen Sie die Stadt?
SBY: In Mannheim sieht man Menschen mit vielen unterschiedlichen Identitäten auf der Straße. Das interessiert mich an Städten. Wenn ich das sehe, fühle ich mich wohl. „Homogene“ Gesellschaften erschrecken mich dagegen.

Sie sind eine sehr politische Autorin, befassen sich in Ihren Stücken mit Gendergerechtigkeit, mit Flüchtlingen und der Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen. Für Mannheim haben Sie ein Stück geschrieben, in dem es um Identitäten geht. Wovon handelt es genau?
SBY: Im Zentrum stehen die Comicfiguren Popeye der Seemann und Olivia Öl. Ich beobachte diese zwei ikonischen, 90 Jahre alten Comicfiguren und positioniere sie in #MeToo-Zeiten in einer zeitgenössischen feministischen Beziehung. Meine Frage in diesem Stück ist: Wo beherrschen immer noch die alten antifeministischen Muster unsere Beziehungen? Welche Form von weiblicher Identität haben wir, wenn wir in einer Beziehung mit einer sehr besonderen Art von Mann sind? Das Stück dringt in das Innenleben Olivias vor und stellt alles dar, wofür sie sich schämt – die Ängste, die Scham für ihren Körper, die Scham, die sie für ihre Nacktheit empfindet, die Scham vor Sexualität mit ihrem Partner. Das geht immer weiter und es wird eine immer höhere Stufe der Scham erreicht.

Das heißt, in einer Beziehung sind auch emanzipierte Frauen plötzlich nicht mehr emanzipiert?
SBY: Im Stück gibt es diese Szene: Nachdem Popeye Olivia umarmt hat, möchte die weibliche Figur etwas sagen, gibt aber auf. Wenn man ein Zeichen der Liebe empfängt, ist nicht der richtige Zeitpunkt, gegen Geschlechterrollen zu kämpfen. Wir übersehen dann unsere Fähigkeit, anders reagieren zu können als unsere Mütter und Großmütter. Wir demonstrieren heute. Es ist selbstverständlich für uns, dass die Frauenquote existieren sollte. Aber wir rasieren immer noch unsere Beine und folgen den Ratschlägen unserer Großmütter bei der Frage, wie wir uns verhalten sollen, um als echte Frau, als attraktive Frau wahrgenommen zu werden. Der unbewusste Bereich der zeitgenössischen Feministin ist das Thema meiner Forschung.

Sind für Sie neben dem Drama auch andere Gattungen wie Essay, Prosa oder Lyrik interessant?
SBY: Was eine Dramatikerin, einen Dramatiker ausmacht, ist der Drang und das Bedürfnis im Hier und Jetzt zu sein und mit den Zuschauern zu kommunizieren. Ich spreche mit dem Publikum. Ich möchte das Publikum wirklich mit meinen Worten erreichen, und viele meiner Konflikte habe ich im Grunde mit dem Publikum. Ich beschäftige mich ja mit dem „Male Gaze“, dem männlich-aktiven, kontrollierenden und neugierigen Blick. Das ist mein Hauptthema und das Theater ist ein Ort, an dem man schaut und gesehen wird. Eine Person, die spricht und beobachtet wird und die Wörter benutzt, um die Realität zu verändern – das ist etwas sehr Performatives, und das liebe ich absolut.

Wie empfinden Sie es, dass Sie als Hausautorin ans
Mannheimer Nationaltheater eingeladen wurden?
SBY: Der erste Hausautor in Mannheim war Friedrich Schiller.
Es ist eine sehr politische Entscheidung, wer mit dieser Tradition hier Hausautor oder -autorin wird. Spricht diese Person Deutsch? Wer ist sie? Und was ist, wenn eine Person ausgewählt wird, die erst seit einigen Jahren in Deutschland lebt und auf Englisch schreibt. Ich bin Israelin, Jüdin, eine Frau. Und jetzt bin ich eine Perle in der Kette, die mit Friedrich Schiller begann. Was bedeutet dies für die zeitgenössische Literatur und das Theater? Es ist immer eine politische Frage, wer eingeladen wird, wer nicht und aus welchem Grund. Mich als Außenseiterin der deutschen Gesellschaft einzuladen in das Herz ihrer Literatur, um diese in einem anderen Licht zu sehen, ist eine radikale Entscheidung. Also, was bedeutet dann Sprache, und nach was suchen wir mit zeitgenössischen Autoren in diesen so politischen Zeiten?

Trotzdem lernen sie Deutsch. Was war die Motivation dafür?
SBY: Den ersten Satz, den ich auf Deutsch gelernt habe, war: Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen (lacht). Ich bin ein Sprachenmensch. Daher bin ich an allen Sprachen interessiert und vor allem an Sprachen, die an Orten gesprochen werden, an denen ich lebe. Ich glaube, dass eine Sprache eine Möglichkeit ist, die Identität einer Gruppe zu kodieren, um zu verstehen, wie eine Gesellschaft denkt. Das war das eine. Auf der anderen Seite ist es einfach passiert, weil ich viel lese. Ich lese auf Deutsch und kommuniziere auf Deutsch, aber als Schriftstellerin ist es noch nicht meine Sprache. Auch Interviews wie dieses gebe ich auf Englisch, um sicher zu gehen, dass ich die richtigen Wörter verwende.

Das Interview führte Astrid Möslinger

Liebe / Eine argumentative Übung
von Sivan Ben Yishai –
Zahlreiche Aufführungstermine im Oktober, November
und Dezember; Infos & Karten: www.nationaltheater-mannheim.de