Idomeneo

Im Zwiespalt der Gefühle: Nach 43 Jahren steht am Theater Pforzheim erstmals wieder Mozarts Oper „Idomeneo“ auf dem Spielplan. Die Inszenierung des Schweizer Regisseurs Urs Häberli fokussiert auf den Konflikt von Staatsraison und Menschlichkeit.

Santiago Bürgi (Idomeneo), Foto: Sabine Haymann.

1781 am Münchner Residenztheater uraufgeführt, hat der 24-jährige Mozart im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz mit „Idomeneo“ ein „Dramma per musica“ komponiert, das sich in seiner Anlehnung an die Form der Tragédie lyrique auch als Echo der Paris-Reise zwei Jahre zuvor hören lässt. Der auf Kreta angesiedelte Idomeneo-Stoff, auf dem Giambattista Varescos Libretto fußt, stammt aus dem Kontext der griechischen Mythologie, hat aber eigentlich erst Ende des 17. Jahrhunderts wirklich Gestalt angenommen.

Cecilia Pastawski (Idamante) und Elisandra Melián (Ilia), von links , Foto: Sabine Haymann.

Das zentrale Narrativ darin, ein Gelübde, das Eltern den Opfertod ihrer Kinder aufzwingt ist genauso Bestandteil des Arsenals kollektiver Mythen wie der Konflikt der trojanischen Prinzessin Ilia, die sich als Gefangene in den Feind, in diesem Fall in den Sohn ihres Entführers, den kretischen Kronprinzen Idamante, verliebt (vergleiche etwa Henry Purcells „Dido and Aeneas“ oder auch das Stichwort „Stockholm-Syndrom“). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte diese Oper, von Mozart zeitlebens als seine gelungenste betrachtet, eine Renaissance, in Pforzheim stand sie zuletzt vor 43 Jahren auf dem Spielplan.

Stamatia Gerothanasi (Eletttra), Foto: Sabine Haymann

Überaus pointiert bringt Robin Davis, seit 2020 Generalmusikdirektor am Theater gemeinsam mit der Badischen Philharmonie Pforzheim Mozarts ungemein differenzierten, farbigen Ochestersatz zum Klingen, immer wieder frappiert er, vor allem in dritten Akt, insbesondere im großen Quartett von Ilia, Elettra, Idamante und Idomeneo („Andrò ramingo e solo“), mit überraschenden dynamischen Kontrasten und lässt die Turbulenz der Emotionen, den zwiespältigen Sturm der Gefühle, der in jedem hier in einer anderer Form von Verrissenheit aufbrandet, spürbar und lebendig werden. „Ihr tragt die Schuld, tyrannische Götter“ – diese Klage, hier aus dem Mund Idamantes in der Arie „Non ho colpa“, zieht sich als roter Faden durch die auf Machtkonflikte  der Oper.  Mit Idomeneo hat Mozart eine seiner komplexesten Musiken geschrieben und die Inszenierung des Schweizer Regisseurs Urs Häberli  folgt ihr mit viel Gespür für Text, Musik und Handlung.

Im Finale wird Ilia im blauen Mantel und Sternendiadem als eine Art Europa gekrönt, während Elettra, im roten Samtkleid dem demagogischen Oberpriester angeglichen, eine brillantbesetzte Krone trägt und als Sinnbild von Monarchie und Klerus am rechten Rand steht. Die Rolle der Ilia wird herausragend verkörpert von der griechischen Sopranistin Stamatia Gerothanasi. Fulminant ist auch der Chor des Theaters Pforzheim, dem in dieser das barocke Konzept der Opera seria transformierenden Choroper besonderes Gewicht zufällt und der in nahezu jeder wichtigen Szene als Handlungstreiber fungiert. Für das Sängerensemble, das Orchester und Robin Davis gab es bei der Premiere „Standing Ovations“.
Text: Harry Schmidt

Weitere Vorstellungen im April, Mai und Juni. Näheres unter www.theater-pforzheim.de