Er beherrscht die Massen. Erst vor wenigen Wochen hat er im Stuttgarter Beethovensaal bei Gustav Mahlers dritter Sinfonie gemeinsam mit dem Staatsorchester akustische Breitwandpanoramen ausgebreitet – und innerhalb der gebotenen Ohren-Opulenz ganz Unterschiedliches zusammengebracht: einfaches und Komplexes, Natur und Kultur, Säkulares und Profanes, hohen Ton und Naivität. Obendrein hat er das Ganze (wie sehr oft) auswendig dirigiert, um sich eineinhalb Stunden lang ganz auf den Dialog mit denen konzentrieren zu können, die spielend auf seine Gesten und Mimik reagieren.
Im fast noch jugendlichen Alter von 38 Jahren hat Cornelius Meister 2028 sein Amt als Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart angetreten. Mittlerweile ist er 44. Während der Corona-Pandemie hat sich der Sprössling einer Musiker-(vor allem: Pianisten-)Dynastie aus Hannover einen Bart wachsen lassen. Ansonsten aber ist er geblieben, was er immer schon war: ein stets freundlicher Kommunikator, ein Teamworker der Kunst, der sich gleich nach seiner Berufung zum musikalischen Chef des Opernhauses in allen Abteilungen persönlich vorstellte; ein Mensch, der viel lächelt und jeden grüßt. Außerdem ist er ein begeisterter Läufer, der mit Vorliebe vor Konzerten und Opernaufführungen joggend seinen Geist erfrischt. Und er ist ein mindestens ebenso begeisterter Radfahrer, der täglich vom Stuttgarter Osten aus zur Arbeit radelt – und der, wenn’s auf den Straßen mal allzu glatt war, notfalls auch mit gebrochener Rippe dirigiert. Schon nach seiner Hochzeit 2006 hat der damals jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands seine Braut, eine Sängerin, mit einer Fahrradrikscha von der Kirche zur Party ins Heidelberger Theater gefahren, wo er dann vom Ensemble ein blaues Tandem geschenkt bekam. Das benutzt er bis heute.
Cornelius Meister ist Familienmensch, er hat drei Kinder. Er ist ein akribischer Arbeiter (der zum Beispiel bei Wagners „Lohengrin“ jede einzelne Stimme selbst eingerichtet, also mit Notizen versehen hat). Und er ist ebenso ehrgeizig wie fleißig. Davon profitieren die Zuhörer und Zuschauer seiner Konzerte und Operndirigate weltweit – besonders spektakulär etwa 2022, als er bei den Bayreuther Festspielen als Einspringer den kompletten „Ring“ übernahm. Und davon profitiert auch das Stuttgarter Publikum.
Cornelius Meisters Repertoire ist weit und anspruchsvoll. Als Pianist bringt er sich bei Kammermusik-Konzerten und bei Liederabenden ein. Und dem Dirigenten Meister haben es besonders die großen romantischen „Schinken“ angetan: Die Sinfonien von Schumann und Brahms hat er in Viererpacks aufgeführt, im Stuttgarter Opernhaus hat er unter anderem Wagners „Ring des Nibelungen“ dirigiert, daneben Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Puccinis „Tosca“, Dvoráks „Rusalka“, Strauss‘ „Elektra“ und „Die Frau ohne Schatten“. Daneben aber auch Hans Werner Henzes „Prinz von Homburg“. Und, natürlich, die Bühnenwerke seines Leib-und-Magen-Komponisten Mozart, „Die Zauberflöte“, „Die Entführung aus dem Serail“ und „Don Giovanni“.
Überall bringt Cornelius Meister Übersicht ins Spiel. Und Klarheit. Das große Ganze behält er im Blick – und feilt gleichzeitig an Details, die dann zuweilen (auf ganz unverkrampfte Weise!) so blankpoliert erklingen, wie er selbst aussieht. Haben zum Beispiel die fallenden Terzen zu Beginn von Brahms‘ vierter Sinfonie je so leicht geklungen wie bei diesem Dirigenten?
Auf Haarschnitt und Bekleidung legt Meister so viel Wert, dass er auch als Model gute Chancen hätte. Das passt zu seinem stets verbindlichen Ton und zu der Eloquenz des Hochbegabten, der neben Musik auch Philosophie studiert hat. Was er sagt, ist druckreif. Und manchmal auf liebenswerte Weise altbacken. Das Wort „mannigfach“ etwa ist eines seiner Lieblingsworte, und wer den Generalmusikdirektor jemals an seinem Arbeitsplatz besucht hat, dürfte auch andere positive Aspekte von „old school“ genossen zu haben. Da ist keine Tür, die der Meister dem Gast nicht vorauseilend öffnen, kein Stuhl, den er ihm oder ihr nicht zurechtrücken würde, und das hat auch mit dem Selbst- und Weltbild des Dirigenten zu tun. Cornelius Meister ist ein politischer Mensch – nicht nur dann, wenn ihn ein verordneter Lockdown dazu bringt, Menschen auf Balkonen singen und Orchestermusiker vor nur einem Zuhörenden spielen zu lassen. Er glaubt an die Kraft des Miteinanders selbst im Heterogenen. Nicht nur bei den Gegensätzen in Gustav Mahlers Sinfonien, sondern auch beim Zugehen auf Menschen in der Stadt, die in der klassischen Musik (noch) nicht zu Hause sind. Deshalb sagt er nie Nein, wenn er irgendwo mitmachen oder mitdiskutieren soll. Und er hält immer an, wenn man ihm grüßend auf dem Fahrrad begegnet. Nahbarer kann ein Maestro nicht sein.
Text: von Susanne Benda
Bio/Info
Cornelius Meister wurde 1980 in Hannover geboren. Studium in Hannover. 2005-2012 Generalmusikdirektor am
Theater Heidelberg, 2010-2018 Chefdirigent des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. Seit 2018 Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart (Vertrag z. Zt. bis 2026), daneben weltweit Gastdirigate, u. a. an der Metropolitan Opera, bei den Salzburger Festspielen, an der Mailänder Scala und bei den Bayreuther Festspielen.
Aktuelle Opern-Vorstellungen
und Konzerte mit Cornelius Meister
in Stuttgart:
Staatsoper Stuttgart:
Richard Strauss Elektra
Richard Wagner Tristan und Isolde
Götterdämmerung
Kurt Weill Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Sinfoniekonzert , Werke von Mozart,
Schostakowitsch, Dvořák
Staatsorchester Stuttgart (16 und 17. Juni)
Sinfoniekonzert
mit Werken von Tschaikowsky
Staatsorchester Stuttgart (14. und 15. Juli)
Info & Karten:
www.staatsoper-stuttgart.de