Ariane Matiakh steht für eine neue
Generation am Orchesterpult

Lange gehörte der Beruf des Dirigenten zu jenen letzten Bastionen, die vornehmlich von Männern dominiert wurden. Doch auch in der Klassikwelt ging das berühmte Rauschen durch den Blätterwald: Längst überkommene Vorurteile und Traditionen fielen, und so gelang es in den letzten Jahren endlich auch einer ganzen Reihe von Frauen, sich erfolgreich im Dirigentenfach durchzusetzen. Eine davon ist Ariane Matiakh.
Die Französin ist seit dieser Saison Chefdirigentin der Württembergischen Philharmonie Reutlingen (WPR). Und diese Entscheidung ist zugleich auch eine kleine Sensation, denn sie ist damit eine der ersten Frauen in Baden Württemberg auf dieser Position. Exzellent ausgebildet mit internationaler Orchestererfahrung, hat sich die 1980 geborene Musikerin für den Posten in Reutlingen gegen 59 Mitbewerber*innen durchgesetzt. Zuvor hatte das Orchester sie bereits als Gastdirigentin kennen- und schätzen gelernt. Matiakh bringt viel Erfahrung mit nach Reutlingen. Der Intendant der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, Cornelius Grube, schätzt ihre fachliche Kompetenz und ihre Begeisterung für Neues und Unbekanntes. Neuentdeckungen und Uraufführungen will sie in den modernen Konzertsaal in Reutlingen mit hervorragender Akustik holen – am besten in Anwesenheit der Komponsist*innen, die hier ihr Werk erstmals live auf der Bühne erleben sollen. Wer sie am Pult beobachtet, erlebt eine dynamische positive Persönlichkeit. arsmondo sprach mit ihr über ihr Leben als Dirigentin und ihre Arbeit mit der WPR.

Ariane Matiakh, Dirigentin, Foto: Marco Borggreve

Welche Aspekte stehen bei Ihren Interpretationsansätzen im Vordergrund?
Zuerst das Bedürfnis, authentisch zu bleiben. Interpreten verbringen in ihrem Leben viel Zeit damit zu recherchieren. Mir persönlich macht das sehr viel Freude, Infos über Komponisten, Stile und geschichtliche Hintergründe zu sammeln, um mich Werken anzunähern. Ein weiterer Aspekt für mich ist es, die Schönheit eines Stücks herauszuarbeiten, seine Klarheit, seine Linienführung, seinen Atem zu finden, um die Noten dann gemeinsam mit einem Orchester aus der Partitur zum Leben zu erwecken.

Welche Impulse und Begegnungen waren die maßgeblichsten für Ihr heutiges Musikverständnis?
Zunächst Leopold Hager an der Musikuniversität Wien: ein hervorragender Professor, der mir Verständnis für die verschieden Musikstile nahegebracht hat und die Liebe zum Detail. Nikolaus Harnoncourt: Ihm verdanke ich, dass ich viel über Aufführungspraxis gelernt habe und den Mut, musikalische Entscheidungen zu treffen. Seine Auffassung von dem, was Musik alles sein kann, hat mich immer sehr inspiriert. Und Simone Young: Sie im Konzert zu erleben, hat mir den Mut gegeben, als Frau in einer Männerdomäne meinen Traum, Dirigentin zu werden, weiter zu verfolgen.

Wie gestalten Sie die Probearbeit? Wie bereiten Sie sich vor? – Nehmen Sie uns mit in Ihre Gedankenund Gefühlswelt, vielleicht anhand eines aktuellen Beispiels…
Es gibt sehr viel verschiedene Arten, sich vorzubereiten, meist hängt es vom Stück ab, aber wie bereits erwähnt, geht es erst einmal darum, möglichst viel Wissen zusammenzutragen. Als ehemalige Korrepetitorin kann ich mir nicht vorstellen, mich ohne Klavier vorzubereiten. Bei Opern ist dies ohnehin der übliche Weg, ich spiele aber auch Symphonien, damit ich sie spüren und erfühlen kann. Und Musik trifft oft Literatur: Derzeit erarbeite ich mir ein Werk von Bartók, „Der Wunderbare Mandarin“ (in der kompletten Fassung mit Chor zu hören in der Reutlinger Stadthalle am 17. April). Es ist eine musikalische Pantomime nach einem Libretto von Menyhert Lengyel. Natürlich muss man dieses Libretto zuerst lesen, um die Musik, die „erzählt“ wird, zu verstehen. Zu den Proben mit dem Orchester bringe ich dann immer meine Recherche mit. So hat man eine Grundlage, ein Konzept, mit dem man gemeinsam arbeiten kann! Die ersten Phrasen vom Orchester zu hören, ist ein wunderbarer Moment, da öffnen sich die Ohren, bevor dann die Arbeit und das Feilen beginnt. Ich lasse mich dabei auch immer begeistern von Ideen und Klangvorstellungen, die von den Orchestermusiker*innen kommen. Solche Freiheiten sind wichtig, und das ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum ein Stück von Orchester zu Orchester niemals gleich klingt. Und das schätze ich sehr!

Es geht also um Klangfi ndung, aber auch um Sympathie zwischen Orchester und Dirigent*in. Wie war denn Ihre erste Begegnung mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen?
Ich war vom ersten Moment an begeistert von der Qualität und der Flexibilität des Orchesters – vom Suchen, der Neugier und dem Willen ins Detail zu gehen, das Publikum mitzunehmen. Auch die Jugend – und Vermittlungsarbeit der WPR entspricht mir und meinen Vorstelllungen. Es geht bei diesem Beruf um Austausch und Interaktion – ein neues Orchester ist wie eine neue Familie und bedeutet auch eine sehr enge zwischenmenschliche Beziehung, all das habe ich gleich zu Beginn gespürt.

Als Tochter zweier Opernsänger sind Sie in einem reichen musikalischen Umfeld aufgewachsen und entwickelten schon in jungen Jahren eine besondere Begabung für das Klavier.
Ich erinnere mich, dass ich mit vier Jahren zum ersten Mal einen Dirigenten erlebt habe und ab da wusste, diesen Beruf will ich auch einmal ergreifen. Ich bin aber zunächst Pianistin geworden und habe mich parallel auf die Orchesterleitung vorbereitet.

Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen Familie und Beruf?
Das ist zugegebenermaßen nicht immer einfach, zumal ich meine zwei Jungs allein erziehe, aber nichts ist unmöglich. Wir führen sicher ein besonderes Leben und versuchen, alle positiven Aspekte darin zu betrachten. Wir sagen oft, dass Liebe ein wichtiger Motor sein kann, und dem stimme ich zu.

Man liest über sie, dass die Astronomie neben der Musik ihre zweite große Leidenschaft ist. Privat leben Sie in Straßburg. Wo findet man Sie, wenn Sie nicht dirigieren? Wie und wo entspannen Sie am liebsten?
Meine freie Zeit verbringe ich am liebsten mit meinen Kindern! Wir reisen gerne, aber die Bretagne ist für uns eines der wichtigsten Ziele. Es ist für uns ein magischer Ort, wo das Gefühl von Freiheit groß ist und der Zeitbegriff kaum spürbar… und genau das brauche und schätze ich sehr zwischen den Konzerten. In dem Haus dort haben wir sogar das ganze Material, um die Sterne zu beobachten, einer meiner Söhne ist im Übrigen ein ebenso großer Astronomie-Fan wie ich. Und ich lese gerne, wenn ich Zeit habe, ich kann fast keinen Tag ohne Bücher beenden…

Ariane Matiakh, Dirigentin, Foto: Marco Borggreve
Engagements führten Ariane Matiakh an die großen Opernhäuser Berlin, London, Oslo, Stockholm, Amsterdam, Straßburg und Halle. Zu den Orchestern, bei denen sie bisher gastierte, gehören das Rundfunkorchester Berlin, das Orchestre de Paris, das Orchestre Philharmonique de Radio France, die Wiener Symphoniker, die Bamberger Symphoniker, das schwedische Radiosinfonieorchester, die Dresdner Philharmonie und die Staatskapelle Halle, das WDR Sinfonieorchester Köln und das MDR-Sinfonieorchester Leipzig, das Orchestre National du Capitole de Toulouse, und das Sinfonieorchester Basel und die Straßburger Philharmoniker. Ihr Repertoire reicht von Oper über Sinfonik bis zum Ballett, vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik.
Ihre Ausbildung erhielt sie unter anderem an der Musikhochschule in Wien bei Leopold Hager und Yuji Yuasa sowie im Masterclass-Studium mit Seiji Ozawa. Im Folgenden assistierte sie an der Opéra National de Montpellier namhaften Dirigenten wie Armin Jordan und James Conlon. An der Komischen Oper Berlin arbeitete sie mit Bernhard Kontarsky.

Alle aktuellen Konzerte mit Ariane Matiakh und mehr über die Württembergische Philharmonie Reutlingen:
www.wuerttembergische-philharmonie.de