Sie träumten vom Aufbruch in ein neues Leben, gemeinschaftlich, aber frei von gesellschaftlichen Konventionen, selbstbestimmt und im Einklang mit der Natur: Intellektuelle und Künstler*innen Anfang des 20. Jahrhunderts, Teil einer alternativen Szene. Die Sonderausstellung „Heilende Kunst“ im Museum LA8 in Baden-Baden widmet sich jetzt diesem Thema mit besonderem Schwerpunkt auf künstlerische Ausdruckformen.
Gesunde Ernährung, körperliche Fitness, Achtsamkeit, nicht zuletzt die aktuelle Klimabewegung und das Ziel die Natur zu heilen: das Bedürfnis nach einem gesunden und besseren Leben ist heute präsenter als je zuvor. Ausgehend von der Bewegung der Lebensreform greift die Ausstellung im Museum LA8 in Baden-Baden „Heilende Kunst. Wege zu einem besseren Leben“ verschiedene Formen der Heilssuche in Kunst und Gesellschaft seit dem späten 19. Jahrhundert auf. Sie fragt, woher die Sehnsucht nach einem heilsameren, gesunden Leben stammt.
Gemäß seiner Ausrichtung schaut das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA8 dabei auch auf die wirtschaftliche Situation Ende des 19. Jahrhunderts; eine Zeit, in der in vereinzelten Ländern in Europa und den USA die Industrialisierung tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft mit sich brachte. Die Fabrikarbeit entstand als neue Arbeitsform. Maschinelle Produktion ersetzte die Handarbeit. Arbeiter*innen wurden schlecht bezahlt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren desaströs. In den immer voller werdenden Großstädten machen Anonymität, Armut und Umweltverschmutzung den Menschen zu schaffen. Als Reaktion auf dieses Klima entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert die Bewegung der Lebensreform. Sie lieferte maßgebliche Impulse für aus ihr hervorgegangene und mit ihr verwandte Heilansätze, die in der Ausstellung aufgegriffen werden. Die moderne Zivilisation, geprägt durch Industrialisierung, Urbanisierung und Technisierung, wurde für den Verlust von humanistischen Werten und die Entstehung seelischer Krankheiten verantwortlich gemacht. Körper, Geist und Seele galten als traumatisiert. Allein die Rückbesinnung auf die Natur und eine auf im Einklang mit der Natur basierende neue Lebensführung könne Heilbringen.
Wie muss ich mein Leben ändern? – die Frage kommt uns in Zeiten von Digitalisierung und Klimawandel, Selbstoptimierung und Achtsamkeit nur allzu bekannt vor. Für die Sinnsucher*innen von damals führte der Weg zu einem besseren Leben über Alternativmedizin und Rohkost, Sport, Tanz und Spiritualität, aber auch über die heilende Wirkung der Kunst.
In der Ausstellung werden Werke gezeigt, die von der Suche nach einem naturnahen Leben zeugen, und somit auf Strömungen der Lebensreform wie den Nudismus oder den Vegetarismus reagierten. Sie beginnt mit den „Propheten-Künstlern“ wie Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913) oder Fidus (1868–1948), alias Hugo Höppener. Als Vegetarier, Nudisten und Gründer von Lebensgemeinschaften strebten die Künstler danach, das gesellschaftliche Leben zu reformieren.
Mit dem Bedürfnis, als Kollektiv aufs Land zu ziehen und die heilsame Wirkung der Natur künstlerisch festzuhalten, bildeten sich Künstlerkolonien. Die Schau spannt einen Bogen von der Malerkolonie Grötzingen bis zum berühmten Sanatorium Monte Verità in Ascona – einer der wichtigsten künstlerischen Treffpunkte vor dem Ersten Weltkrieg. Der Mitbegründer der Kolonie Worpswede Heinrich Vogeler (1872–1942) gestaltete die Villa „Barkenhoff“ in Harmonie mit der Natur zu einem Gesamtkunstwerk. Als Beispiel für die Verschönerung des Alltags steht sie im Dialog mit Kunstobjekten und historischen Fotografien aus dem Bereich des Ausdruckstanzes und der Eurythmie, die der Anthroposophie und Rudolf Steiner nahesteht.
Beide Tanzformen ermöglichten es, sich von Normen zu befreien sowie Emotionen und Gedanken auszudrücken.
Die auf Sigmund Freuds (1856–1939) ästhetischen Studien basierende Kunstpsychologie und die Mitte des 20. Jahrhunderts aufkommende Kunsttherapie setzen an der These an, dass künstlerische Gestaltung in der Kunstproduktion und Kunstrezeption einen Heilprozess ermöglichen kann. Warum? Kunstwerke liefern einen Zugang zum eigenen Unbewussten und zu verschütteten Ressourcen. Sie aktivieren die Bearbeitung von Krankheiten und Leiden, ermöglichen eine Projektion eigener psychischer Inhalte auf die Kunst und stärken als Mittel zur Verarbeitung von Alltags- und Lebenserfahrungen das eigene Resilienzvermögen.
Werke von Rudolf Steiner (1861–1925) und Emma Kunz (1892–1963) vermitteln visionäre Heilansätze und veranschaulichen die therapeutische Wirkung von Spiritualität. Zeitgenössische Arbeiten von Joseph Beuys (1921–1986) beleuchten das Thema Heilkraft der Kunst und ihr gesellschaftsveränderndes Potenzial aus einer jüngeren Perspektive. In dem kunsttherapeutischen Kontext werden Arbeiten von psychisch Kranken aus der Sammlung Prinzhorn, Heidelberg gezeigt, etwa von Else Blankenhorn oder dem Surrealisten August Natterer. Zusammen mit Werken von Hermann Hesse und Frida Kahlo zeigen sie Heilungsprozesse und Bewältigungsstrategien von Künstler*innen auf, die Kunst als Therapiemaßnahme entdeckten. Begleitet wird die Schau von einem umfassenden museumspädagogischen Programm. Zur Ausstellung ist ein Begleitband im Deutschen Kunstverlag erschienen. Expert*innen für Lebensreformbewegungen, Psychologie, Kunsttherapie und Kunstgeschichte betrachten dort die unterschiedlichen Facetten eines Strebens nach Heilung und erörtern die Aktualität des Themas.
Dauer der Ausstellung: noch bis 12. Januar 2025
Rahmenprogramm:
Natur als Ressource
Aquarelle von Hermann Hesse zeugen von intensiven Naturerlebnissen, die ihm halfen, private Rückschläge zu verarbeiten. In diesem Workshop können nach der Bildbetrachtung eigene Aquarelle aus Pflanzenfarben gestaltet werden.
Termin: 21.12.2024 /Zielgruppe: Erwachsene
Bildbetrachtung mittels Poesie
Ein ausgewähltes Landschaftsbild wird gemeinsam betrachtet und aus mehreren Gedichten ein passendes ausgesucht. Gibt es persönliche Erinnerungen an ähnliche Naturerlebnisse? In der Werkstatt können Bilder zu den eigenen Naturerlebnissen oder zu Gedichten künstlerisch gestaltet werden.
Termin: 11.01.2025
Zielgruppe: Erwachsene
Personenanzahl: bis 8 Personen
Creative Sunday
Alle sind eingeladen in die Welt der Kreativität einzutauchen, den Gedanken freien Lauf zu lassen und sich eine Auszeit zu gönnen. Ob Papier, Wolle, Holz oder ein Tortengitter: man kann mit verschiedenen Materialien arbeiten und unterschiedliche künstlerische Techniken ausprobieren.
Wann: Die Workshops finden einmal im Monat sonntags von 14 Uhr bis 16 Uhr statt. Die nächsten Termine sind: 27. Oktober, 24. November, 22. Dezember 2024
Kosten: 7 Euro pro Person; für Kinder mit Familienpass ist die Teilnahme kostenlos; Anmeldung: 07221 / 9954586 (Kasse/Zentrale), Email: carolin.osten@grenkestiftung.de
Yoga
Im wunderschönen Spiegelsaal des Museums findet Vinyasa-Yoga statt
Wann: 23.9.2024, 7., 21. und 28.10.2024, 18.11.2024, 2. und 16.12.2024, 8.1.2025
Von 17:30 Uhr bis 18:30 Uhr im Spiegelsaal des Kulturhauses LA8
Mit Elena Korowin (Kunstwissenschaftlerin, Yogalehrerein, Fitnesscoach)
Kosten: 10 Euro pro Sitzung und pro Person, 2 Euro Ermäßigung bei einem Ausstellungsbesuch. Eigene Sportmatte ist mitzubringen.
Anmeldung: 07221 / 9954586 (Kasse/Zentrale), Email: info@museum.la8.de
Weitere Info:
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